Eine „Blockchain made in Europe“, zentral und verlässlich: Das ist nur ein Anliegen von Prof. Dr. jur. Dagmar Gesmann-Nuissl, das sie im Rahmen unserer Reihe „Perspektiven“ aufzeigt. Im Gespräch mit Blockchain Europe erläutert die Inhaberin der Professur für Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums an der Technischen Universität Chemnitz, Mitglied des Beirats von Blockchain Europe, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dafür bereits geschaffen wurden – und welche noch geschaffen werden müssen.
Wie ist Ihr Blick als Juristin auf die Blockchain bzw. die Blockchain-Technologie?
Als Juristin hat man vor allem den Ordnungsrahmen im Blick, der in Bezug auf die Blockchain an vielen Stellen noch ausbaufähig ist. Dabei müssen wir natürlich nicht alle Fragestellungen durch neue Gesetze behandeln, aber die grundlegenden Orientierungen müssen schon durch einen Ordnungsrahmen vorgegeben werden. Ein guter Ordnungsrahmen schafft Vertrauen und hilft am Ende dabei, die Blockchain-Technologie als Instrument zur Beschleunigung, Vereinfachung und Präzisierung von Prozessen und Transaktionen anzunehmen und sie in der Breite der Gesellschaft zu verorten. Darauf aufbauend können dann Normungs- und Standardisierungsaktivitäten einen weiteren Beitrag zur Konkretisierung leisten.
Rechtsunsicherheiten sind für viele Unternehmen, die grundsätzlich Interesse an dem Thema Blockchain haben, heute noch ein Hemmschuh, die Technologie einzuführen …
Das ist sicherlich richtig – aber mir ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, dass wir nicht pauschal von einer fehlenden Rechtsumgebung sprechen. Denn es gibt durchaus Bereiche, denen sich der Gesetzgeber bereits angenommen hat. Dies gilt vor allem für den Bereich der Finanzwirtschaft und der Kryptowährung, quasi der „Geburtsort“ der Tokenisierung. Im finanzwirtschaftlichen Bereich wurde mit der Änderung des Geldwäschegesetzes der Begriff des Kryptowertes und der Kryptoverwahrgeschäfte eingeführt. Mit dem Gesetz über elektronische Wertpapiere wurde zudem der rechtsgeschäftliche Umgang mit Kryptowerten rechtssicher gestaltet und Ende des Jahres wird eine europäische Verordnung in Kraft treten, die den Markt von Krypto-Assets europaweit reguliert. Im Gegensatz dazu sind wir allerdings im realwirtschaftlichen Bereich noch recht blank.
Was bedeutet das konkret?
Vor allem in den Einsatzgebieten, die für die Industrie und den Mittelstand von Bedeutung sind haben wir Nachholbedarf. Da gilt es zu klären, wie Vertragsschlüssen auf der Blockchain rechtssicher zustande kommen können und Erklärungen gegebenenfalls auch wieder zurückgenommen werden können oder um die Sach- bzw. Rechtsqualität von Vermögenswerten wie Token und NFT (kurz für Non-Fungible Tokens) sowie deren Übertragungs- und Eigentumsfähigkeit. Außerdem bleiben die Gewährleistung und Haftung bis hin zur unternehmerischen Verantwortung klärungsbedürftig – also ein „bunter Strauß“ an Rechtsfragen, der uns im realwirtschaftlichen Bereich noch beschäftigen wird.
Warum ist eine sichere Rechtsumgebung von so entscheidender Bedeutung für die Blockchain bzw. dafür, dass Unternehmen die Blockchain nutzen?
Ein Unternehmen muss einem Instrument vertrauen können. Andernfalls wird es dieses Instrument nicht einsetzen. Vertrauen entsteht nun einmal durch klare und transparente Regeln. Dies gilt umso mehr im Bereich der Digitalwirtschaft. Gerade auf unternehmerischer Seite schwingt immer noch die Angst mit, fehlerhaft zu agieren, sich angreifbar zu machen oder Geschäftsgeheimnisse zu verlieren, wenn plötzlich keine persönlichen Verhandlungen mit dem Vertragspartner mehr stattfinden, sondern die Einzelheiten eines Vertrages bis hin zu dessen Abschluss über Vertragsverhandlungsagenten automatisiert via Smart Contracts durchgeführt werden. Eine verständliche und transparente Rechtsumgebung, die z.B. die Token als Rechtsgut schuld- und sachenrechtlich begleitet und Vertragsabschlüsse über Smart Contracts absichert, würde hier für die notwendige Sicherheit, das Vertrauen und zugleich für Akzeptanz sorgen.
Brauchen wir in Deutschland denn ein Token-Gesetz?
Der Begriff „Token-Gesetz“ hat sich insbesondere durch die Gesetzgebung in der Schweiz und Liechtenstein etabliert. Die beiden Länder waren die ersten, die sich der „Token-Ökonomie“ mittels eines eigenständigen Gesetzes angenommen haben. Während die Schweiz finanzmarktbezogene Regelungen getroffen hat, ist das Token- und VT-Dienstleister-Gesetz aus Liechtenstein anwendungsneutraler. Es definiert unter anderem die Rolle von Intermediären und beschreibt Dienstleistungen sowie Geschäftsmodelle. Ob man ein solches „Token-Gesetz“ auch in Deutschland benötigt, ist meines Erachtens fraglich. Oftmals ist es ausreichend, die bestehenden Regelungen an den richtigen Stellen mit Bedacht fortzuschreiben oder sie mit (Interoperabilitäts-)Standards zu untersetzen. Das Recht sollte technologieneutral bleiben. Lediglich die Rechtsfragen, die sich aus den neuen Technologien ergeben, sollten rechtssicher aufgelöst werden.
Gibt es einen Bereich, in dem sich die Blockchain Ihrer Meinung nach besonders gut einsetzen lässt?
Das Transportwesen bietet grundsätzlich solch ein Anwendungsszenario. Es ist durch klare Strukturen geprägt, die sich wunderbar in „Wenn-dann-Regelungen“ automatisieren lassen. So kann ein Transportgut beispielsweise mit Sensorik ausgestattet sein, die erkennt, dass der Zielort der Ware erreicht und die Zahlung auszuführen ist. Sind begleitende Dokumentationen und Nachweise wie Ladescheine, Produktsicherheitszeugnisse oder Akkreditive erforderlich, dann lassen auch sie sich rechts- und fälschungssicher auf der Blockchain ablegen und automatisiert mit dem Transportgut mitführen. Am Empfangsort reicht es mitunter aus, eine automatisierte Prüfung auf Existenz und Vollständigkeit über Smart Contracts durchzuführen. Diese würde zum Beispiel besagen: „Das Dokument liegt vor, die Zahlung kann erfolgen“. Gerade aufgrund dieser recht einfachen Struktur im Transportbereich wurde in der Literatur bereits sehr früh darauf hingewiesen, dass sich die dort relevanten Bedingungen sehr gut über Smart Contracts – also in Form von Computercodes – festschreiben lassen, die dann nach automatisierter Überprüfung weitere Aktionen selbständig auslösen.
Gilt das denn auch für komplexere Aktivitäten, wie für Vertragsverhandlungen?
Dann wird es in der Tat problematischer. Ich denke da etwa an Verhandlungen über die Erheblichkeit eines Mangels oder an solche über einen Preisnachlass wegen unvorhergesehener Ereignisse. Dafür müssten zuvor alle möglichen Verhandlungspositionen der digitalen Vertragsagenten vorgedacht und durch Smart Contracts abgebildet werden.
Logistik ist heute ja immer auch grenzüberschreitend: Wie sieht es denn im internationalen Kontext aus?
Falls hier unterschiedliche Begriffswelten existieren, müssen auch diese miteinander in Harmonie gebracht werden: Die automatisierten Anweisungen müssen am Ende interoperabel sein. Inwieweit der Gesetzgeber hier unterstützen kann – oder dieses eher Standardisierungsorganisationen vorbehalten sein wird –, wird derzeit untersucht. Jedenfalls ist auch hier eine rechtssichere Umgebung für das Unternehmen, das die Blockchain nutzen soll, unerlässlich.
Mehr Risiken eingehen, mehr Fehler zulassen: Brauchen wir in Deutschland ein neues Mindset für die Blockchain?
Die Blockchain kann in der Datenwirtschaft zu einer wesentlichen Infrastruktur werden. Hierfür muss aber das Vertrauen in ihre Funktionsweise zunehmen. Das kann einerseits durch eine valide „European Blockchain“ und anderseits durch nachahmenswerte und regelbasierte Business Cases befördert werden. Dem sollte man sich offen stellen und auch erste Fehler in Kauf nehmen. Wenn neue Technologien eingeführt werden, lassen sich Fehler und Risiken nie vermeiden. Am Ende resultiert aber auch aus ihnen ein Erkenntnisgewinn und dieser trägt – wo erforderlich – auch zum Nachsteuern im Recht bei.
Welche Maßnahmen müssten jetzt eingeleitet werden?
Wir müssen es schaffen, Wertschöpfungsketten in ihrer Gesamtheit und Branchenvielfalt mittels der Blockchain-Technologie zu begleiten. Dabei kann eine „European Blockchain“ – also eine zentrale und verlässliche Infrastruktur, verbunden mit „klaren Spielregeln“ – eine wertvolle Hilfe leisten. In anderen Bereichen wie im Bereich der Produktsicherheit haben wir schon gezeigt, wie klare und nachvollziehbare Regelungen, die eng mit der Unternehmenswelt abgestimmt werden, eine Akzeptanz und Befolgungsbereitschaft generieren. Wenn wir zu einer „Blockchain made in Europe“ kämen, wäre das ganz prima.
Und welche Anwendungen stehen für Sie im Fokus?
Als Innovations- und Technikrechtlerin mit privatrechtlichem Lehrstuhl liegt mein Interessensgebiet in der Realwirtschaft. Daher wünsche ich mir eine Stärkung und eine zielgerichtete rechtliche Begleitung der realwirtschaftlichen Anwendungsszenarien – auch über die Transportwirtschaft hinaus.
Prof. Dr. jur. Dagmar Gesmann-Nuissl
Technischen Universität Chemnitz
Professur für Privatrecht und Recht des geistigen Eigentums
Bild: @TU Chemnitz